Eine der ältesten deutschen Universitäten - die Albertina
in Königsberg, die 1544 gegründet wurde - hätte in
diesen Tagen den 100. Geburtstag eines bedeutenden Wissenschaftlers
und Hochschullehrers gewürdigt - aber Königsberg steht
seit dem Ende des zweiten Weltkrieges unter sowjetischer Verwaltung.
In dieser Stadt, deren bedeutendster Sohn der große Philosoph
Immanuel Kant war, starb am 15. Januar 1916, wenige Tage vor seinem
52. Geburtstag, der Geheime Medizinalrat, Professor der Chirurgie
Dr. Paul Leopold Friedrich an den Folgen eines schweren Nieren-
und Herzleidens, daß er sich als beratender Chirurg des I.
Armeekorps durch seinen rastlosen und aufopfernden Einsatz in den
schweren Abwehrkämpfen gegen die Russen 1914/1915 zugezogen
hatte. Professor Friedrich war von 1911 bis zu seinem Tode Direktor
der Chirurgischen Universitätsklinik. Durch seine wissenschaftlichen
Leistungen auf den Gebieten der Wundbehandlung, der allgemeinen
Chirurgie und der Gehirnchirurgie hatte sich Friedrich in der medizinischen
Fachwelt einen bedeutenden Namen erworben und der deutschen Chirurgie
im Ausland zu hohem Ansehen verholfen. Er war Ehrenmitglied vieler
medizinischer Gesellschaften des Auslandes, besonders in den USA.
Die Lungenchirurgie, damals noch in den ersten Anfängen steckend,
ist durch Friedrichs Erkenntnisse und Versuche wesentlich beeinflußt
und gefördert worden, so daß, wie es auch in einem Nachruf
der Königsberger Universität heißt, sein Name in
der Geschichte dieser Disziplin einen festen Platz eingenommen hat.
Es ist heute so selbstverständlich, daß der Chirurg
während der Operation Gummihandschuhe trägt, daß
man sich kaum noch über ihre Einführung und umwälzende
Bedeutung für die Arbeitstechnik im Operationssaal Gedanken
macht. Friedrich selbst hat über seine Erfindung zum ersten
Mal 1898 auf dem Kongreß der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie gesprochen. Bescheiden und zurückhaltend sagte er
damals:
"Will man den Gebrauch der Handschuhe verallgemeinern,
wozu mir eine Berechtigung nicht vorzuliegen scheint, so ist es
zu bemerken, daß er der Raschheit des Operierens auf alle
Fälle schadet, den aseptischen Apparat unnöthig kompliziert,
die allgemein menschliche Seite des eventuellen Vertrauens auf seinen
Schutz die Strenge der sonstigen Händesterilisationsmaßnahme
gefährdet."
"So wenig ahnte er, welches kostbares Geschenk er der Chirurgie
machte" schreibt 1916 sein Königsberger Kollege Professor Kirschner
in einer Würdigung des Friedrichschen Lebenswerkes.
Schüler von Robert Koch
Paul Leopold Friedrich wurde am 26. Januar 1864 in Roda in Sachsen-Altenburg
geboren. Nach dem Abitur studierte er Medizin an der Universität
Leipzig. 1888, im Alter von 25 Jahren, schließt er sein Studium
mit dem Doktor der Medizin ab und tritt als Militärarzt in
die sächsische Armee ein. Ein Jahr später geht Friedrich
nach Berlin und arbeitet als Assistenzarzt in der Pathologisch-Bakteriologischen
Abteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, das unter der Leitung
von Robert Koch steht. Diese Tätigkeit, in der sich der junge
Arzt mit den exakten Methoden der Bakteriologie beschäftigt,
beeinflußt seine Vorstellungen von der Medizin als Heilkunst
in einer ganz bestimmten Weise und ist für sein späteres
Wirken als Chirurg bedeutsam. In diesen drei Jahren - Robert Koch
erfindet 1890 das Impfstoff Tuberkulin, das sich als Heilmittel
leider nicht bewährte, aber heute noch als Testimpfmittel im
Handel ist - unternimmt Friedrich auch eine Studienreise nach England
und Frankreich. Er benützt die Rückreise zu einem längeren
Aufenthalt am Institut Pasteur in Paris, das 1888 für die Erforschung
der Mikrobiologie und ihre Beziehungen zur Medizin und Chemie gegründet
wurde. Louis Pasteur, durch seine wissenschaftlichen Leistungen
einer der größten Bakteriologen des vergangenen Jahrhunderts,
führte damals grundlegende Untersuchungen über die optimale
Aktivität, Gärung und Fäulnis durch und entdeckte
dabei die Impfstoffe gegen Tollwut, Rotlauf, Milzbrand und Hühnercholera.
Diese Forschungen, die Friedrich lebhaft interessierten, bildeten
die Grundlage für die Lehre von der Bakteriologie und schufen
damit die Voraussetzungen für Asepsis und Antisepsis in der
Chirurgie - Erkenntnisse, auf die Friedrich bei seinen wissenschaftlichen
Arbeiten später weiter aufbaute. Professor Kirschner hat diese
Zeit als "chirurgisch-bakteriologische Periode" im Leben Friedrichs
bezeichnet.
Ausbildung als Chirurg
1891 erhält der junge Dr. Friedrich eine Berufung an die
Chirurgische Universitätsklinik nach Leipzig, wo er ein Jahr
später als Assistent des bekannten Chirurgen Prof. Thiersch
tätig wird. Bei Thiersch erhält Friedrich eine umfassende
chirurgische Ausbildung. Thiersch wird sein großer Lehrer,
der in dem jungen Mediziner den Sinn für die allgemeine Chirurgie
weckt und fördert. Später arbeitet Friedrich in Leipzig
als Mitarbeiter von Prof. Trendelenburg. 1895 habilitiert er sich
als Privatdozent für Chirurgie. Ein Jahr später wird er
als Nachfolger von Prof. Benno Schmidt zum a.o. Professor und Direktor
des Chirurgisch-Poliklinischen Institutes Leipzig ernannt. 1899
erscheinen seine Mitteilungen zur Gehirnchirurgie. Es sind fruchtbare
Jahre theoretischer Forschung und praktischer Arbeit in der Klinik.
Professor Kirschner hat darüber in dem bereits erwähnten
Beitrag "Zum Lebenswerke Geheimrat Friedrich" folgendes gesagt:
"Kennzeichend für seine innigen Beziehungen zur Bakteriologie
ist seine Antrittsvorlesung in Leipzig: "Das Verhältnis der
experimentellen Bakteriologie zur Chirurgie". Nach einem Loblied
auf die Bakteriologie kommt er zu den, auch dem Schöngeist
Friedrichs charakterisierenden Schlußsätzen: Die Bakteriologie
habe der Chirurgie einerseits das Messer aus der Hand gewunden,
da sie uns gelehrt habe, viele Krankheiten zu verhüten oder
ohne Operation zu heilen; und die Bakteriologie habe der Chirurgie
andererseits das Messer wieder in die Hand gedrückt, weil erst
die durch sie geschaffene Aseptik und Antiseptik den Chirurgen befähigt
habe, große Operationen ohne Gefahr auszuüben.
Nachdem Friedrich nun eine größere Anzahl klinisch-bakteriologischer
Arbeiten veröffentlicht hatte, von denen ich seine Studien
über die bakterielle Aetiologie und die klinische Behandlung
der Peritonitis (Bauchfellentzündung) hervorheben will, wandte
er sich einer ihn als Polikliniker besonders interessierenden Frage
zu, der Behandlung der Gelegenheitswunden. Durch experimentelle
Forschungen stellte er fest, daß die Keime einer frischen
Wunde nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Anzahl von
Stunden in die Nachbarschaft einwandern. Aus dieser Tatsache zog
er sofort den für die Praxis wichtigen Schluß: Kommen
infizierte oder infektionsverdächtige Wunden - und das sind
eben alle Gelegenheitswunden - in den ersten Stunden nach der Verletzung
in die Behandlung des Arztes, so kann er diese infizierten Wunden
dadurch in keimfreie Wunden verwandeln, daß er das Wundgebiet
in toto ausschneidet. Diese Behandlungsmethode, die er zuerst in
seiner Leipziger Poliklinik mit bestem Erfolge in systematischer
Weise durchführte, hat als "primäre Auffrischung nach
Friedrich" die weiteste Verbreitung gefunden.
Noch ein zweiter großer Gedanke, dessen Verwirklichung eine
Umwälzung in dem Betriebe des Operationssaales der Chirurgie
und ihrer Nachbardisziplinen herbeiführen sollte, fällt
in jene Leipziger Zeit: Die Erfindung der Operationshandschuhe aus
dünnem Gummi.
Seine nächsten Arbeiten beschäftigen sich mit der Tuberkulose.
Von besonderem Werte sind hier seine experimentellen Untersuchungen
über die Lokalisierung der Tuberkelbazillen bei der Einbringung
in den arteriellen Kreislauf. Er fand, daß die Organe bei
dieser Versuchsanordnung nicht regellos und zufällig betroffen
werden, sondern daß hinsichtlich der Menge der sich ansiedelnden
Tuberkelbazillen eine bestimmte Reihenfolge der Organe innegehalten
wird. Am stärksten wird die Niere, das ausscheidende Organ,
befallen, demnächst die Lunge, die Knochen und die Gelenke.
Einzelne Organe bleiben fast immer frei, so auffallenderweise die
blutreiche Milz. In weiteren Untersuchungen stellte er fest, daß
durch ein Trauma (eine Gewalteinwirkung) für die Ansiedlung
der Tuberkelbazillen kein Locus minoris resistentiae (kein Ort verminderter
Widerstandsfähigkeit) geschaffen wird.
Arbeiten zur Lungenchirurgie
1903 folgt Friedrich einem Ruf als ordentlicher Professor und
Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik nach Greifswald
als Nachfolger von August Bier. Greifswald, damals noch Kleinstadt
mit 24.000 Einwohnern, übte auf Mediziner starke Anziehungskraft
aus. Die medizinische Fakultät galt als eine der besten Preußens,
wie Professor Sauerbruch, den Friedrich als Oberarzt zu sich holte,
später schrieb. Hier forschten und lehrten Professoren von
Rang und Namen. Sauerbruch, Privatdozent für Chirurgie, kam
1905 nach dem Tode seines Lehrers, Geheimrat von Miculicz, aus Breslau,
wo er an der Königl. Chirurgischen Klinik mit Geheimrat Miculicz
Versuche erfolgreich abgeschlosssen hatte, bei denen unter Anwendung
des Druckdifferenzverfahrens Operationen bei geöffneten Brustfellhöhlen
möglich waren. Professor Kirchner schreibt über die Zusammenarbeit
zwischen Friedrich und Sauerbruch: "Als Sauerbruch zu Friedrich
kam, war dieser von dessen Ideen begeistert und begann mit Sauerbruch
in Greifswald den Bau der ersten Unterdruckkammer. Diese praktische
Arbeit und die theoretische Beschäftigung mit den Einzelheiten
der Lungenphysiologie wirkten auf Friedrich in jeder Hinsicht anregend
und fruchtbringend und bestimmten den Inhalt der zweiten Hälfte
seines chirurgischen Lebens. Es begann für ihn die Periode
der Lungenchirurgie.
Er trat zunächst gegen die damals allegemein übliche
und noch jetzt weit verbreitete Behandlung des frischen Pleuraemphems
(Brustfelleiterung) durch Rippenresektion auf. Macht man auf diese
Weise einfach ein Loch in den Brustkorb, so schnurrt die Lunge in
die Gegend des Hilus (Lungenwurzel) zurück, und es entsteht
eine riesige, mit Luft und Eiter gefüllte Höhle. Nur in
seltenen Fällen hat dann der Körper die Kraft, diese Riesenhöhle
zu organisieren und zur Ausheilung zu bringen. Deswegen ist dieses
Vorgehen, wie Friedrich hervorhebt, ein unlogisches und unzweckmäßiges
Verfahren. Man muß vielmehr den Eiter durch eine ständig
wirkende Ventildrainage absaugen, auf diese Weise die Lunge nach
und nach zur Entfaltung bringen und sie zwingen, ihren früheren
Platz möglichst wieder im alten Umfange einzunehmen.
Friedrichs Hauptinteresse wandte sich sehr bald der chirurgischen
Behandlung der Lungentuberkulose zu. Die theoretischen Überlegungen,
auf denen seine sich von Jahr zu Jahr verwollkommende Operationstechnik
fußte, waren hierbei folgende: Die von Tuberkulose befallenen
Lungenabschnitte stehen unter besonders ungünstigen Ausheilungsbedingungen,
weil erstens die Lunge in der Brusthöhle wie in eine starre
Kuppel eingespannt ist und so nicht unter Narbenbildung schrumpfen
kann, und weil zweitens die Lunge bei der Atmung fortdauernd bewegt
wird und so nicht, wie beispielsweise erkrankte Gliedabschnitte,
durch Ausschaltung und Ruhigstellung geschont werden kann.
Man kann nun einem erkrankten Lungenabschnitte sowohl die Ruhigstellung
wie die Schrumpfung dadurch ermöglichen, daß man über
dem Krankheitsherde die Rippen, die starren Strebepfeiler des Gewölbes,
in weitem Ausmaße entfernt. Denn dann kann die Lunge, die
an der kranken Stelle ja nur noch von Weichteilen bedeckt ist, diese
weichen Teile unter Narbenschrumpfung einziehen, und die unter dem
entknochten Brustkorbabschnitt gelegenen Lungenteile machen die
Atembewegungen nicht mehr in dem alten Maße mit. An der Indikationsstellung
für die Operation, an der Technik der Entknochung und an der
Nachbehandlung der Operierten hat Friedrich in mühevoller und
sorgfältiger Arbeit bis an sein Lebensende gearbeitet.
Noch in allerletzter Zeit hat er zwei neue Vorschläge zur
chirurgischen Bekämpfung der Lungentuberkulose, die in einer
ganz neuen Richtung liegen, als einer der ersten mutvoll erprobt,
nämlich die Ruhigstellung einer Lungehälfte durch Unterbrechung
der motorischen Nerven (die Bewegung vermittelnder Nerven) herbeizuführen.
Durch Schädigung des Nervus phrenicus kann das Zwerchfell,
durch Schädigung der Interkostalnerven können die Muskeln
des Brustkorbes ausgeschaltet werden. Der letzte, jüngste Vorschlag
stammt aus der Friedrichschen Klinik."
Außer seinen neue und eigene Wege gehenden wissenschaftlichen
Arbeiten, von denen, um das noch einmal zu betonen, nur die großen
Grundzüge skizziert sind, verdanken wir Friedrich noch ein
umfangreiches Lehrbuch über die Verletzungen und Erkrankungen
des Handgelenkes und der Hand, das einen Teil des von Bergmann und
Bruns herausgegebenen Handbuches des praktischen Chirurgie bildet.
In musterhafter Weise hat es Friedrich hier verstanden, die Fülle
des Materials nach großen Gesichtspunkten zu sichten und in
glänzender Weise darzustellen. Das Lehrbuch ist von Friedrich
in mehrfachen Auflagen, von denen die letzte wenige Jahre vor seinem
Tode erschienen ist, verbessert und ausgebaut worden.
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