Andreas W Friedrich
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Dr. Paul Leopold Friedrich
Chirurg
* 1864 † 1916

Zeichnung von Max Klinger, 1905

HARTMANN WundForum 2/98

100 Jahre Friedrich’sche Wundausschneidung



13. April 1898 – anläßlich des XVII. Congresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu Berlin, trat Paul Leopold Friedrich, Professor für Chirurgie, zum ersten Mal mit seiner Methode der primären Wundversorgung an die öffentlichkeit: „Die aseptische Versorgung frischer Wunden unter Mittheilung von Thier-Versuchen über die Auskeimungszeit von Infectionserregern in frischen Wunden.“

Auch wenn mittlerweile wirksamere Desinfektionsmittel als zu Friedrichs Zeiten zur Verfügung stehen, ist die sogenannten Friedrich’sche Wundausschneidung heute noch praktizierter Standard. Sie ist als Technik der operativen Behandlung von Wunden charakterisiert, die innerhalb 8 Stunden (bei Friedrich innerhalb von 6 Stunden) nach der Verletzung zur „Versorgung“ kommen, als nicht infiziert gelten und deren Wundränder nicht wesentlich unterminiert sind. Nach der „Wundanfrischung“, die im allgemeinen in einem keilförmigen Ausschneiden der Ränder und des Wundgrundes mit Entfernung von zerstörtem Gewebe, Fremdkörpern etc. besteht, folgt der Wundverschluß durch primäre Naht.

DER FAST VERGESSENE INAUGURATOR

Im Gegensatz zu seiner Methode der primären Wundversorgung sind der Lebensweg und die Entwicklung Paul Leopold Friedrichs nahezu in Vergessenheit geraten.
Als gebürtiger Thüringer (geb. am 20.1.1864 in Rhoda), studierte er in Leipzig Medizin, wo er 1888 auch promovierte. 1889 wurde er als Angehöriger der Sächsischen Armee an das Königliche Reichsgesundheitsamt in Berlin versetzt, dessen Leiter Robert Koch (1843 – 1910) war. Hier, in einem Zentrum moderner Bakteriologie, erhielt er entscheidende Impulse für seine spätere Arbeit und konnte sich mit neuesten bakteriologischen Arbeitsmethoden vertraut machen. Eine Reihe von Schriften aus dieser Zeit zeugen von einem großen wissenschaftlichen Eifer, und seine Erfahrungen führten sogar dazu, daß er 1892 als sächsischer Cholera-Arzt eingesetzt wurde.

Im gleichen Jahr trat er in die Chirurgische Universitätsklinik in Leipzig ein, die von Karl Thiersch (1822 – 1895) geleitet wurde. Karl Thiersch beschäftigte sich selbst intensiv mit der Wundantiseptik, so daß Friedrich seine klinische Forschungsarbeit zu vorwiegend chirurgisch-bakteriologischen Problemen ausbauen konnte. 1984 habilitierte er mit der Schrift „Beobachtungen über die Bedeutung von Stäbchenbakterien für acute Eiterung – beziehentlich septische Prozesse beim Menschen.“ Die Leistungen Paul Leopold Friedrichs wurden allgemein anerkannt, was sich in seiner weiteren Laufbahn niederschlägt. 1896 bekommt er als a. o. Professor die Leitung der Chirurgischen Poliklinik in Leipzig übertragen, 1903 siedelt er als Ordinarius für Chirurgie in die Universitätsklinik nach Greifswald über. Hier wird Ferdinand Sauerbruch sein Assistent. 1907 folgt er einer Berufung nach Marburg, 1911 übernimmt er den chirurgischen Lehrstuhl der Albert-Universität in Königsberg. Am 15. Januar 1916 stirbt Paul Leopold Friedrich an den Folgen eines Leidens, das er sich im Krieg zugezogen hatte.

DER ENGAGIERTE PRAKTIKER

Wie so oft in der Medizin, mußte auch Paul Leopold Friedrich mit seiner Methode der Versorgung von Gelegenheitswunden gegen etablierte Lehrmeinungen antreten und die besseren Beweise erbringen. Zwar wurde die von Ernst von Bergmann inaugurierte operative Wundzurichtung seit den 90er Jahren allgemein praktiziert, aber die Experimente Schimmelbuschs an Mäusen und Ratten zum Thema „Desinfektion der septisch infizierten Wunden“ schienen nicht für die Wirksamkeit der von Bergmann’schen Wundzurichtung zu sprechen. Schimmelbusch hatte die Schwanzspitzen der Tiere mit Milzbrand-Reinkulturen infiziert und 10 Minuten später die Schwänze amputiert, dennoch verendeten alle Tiere durch Milzbrand.

Friedrich, dessen praktische klinische Erfahrung gegen diese Ergebnisse sprach, konzentrierte sich deshalb in seinen Experimenten auf den Grad der Pathogenität von Bakterien, wie sie üblicherweise in Gelegenheitswunden zu finden sind, und stellte Ueberlegungen zu deren Auskeimungszeit an. In seinem Referat erläuterte er sein Vorgehen und seine Schlüsse, die er daraus zog, in eindrucksvoller Weise: „... Kommen wir zurück auf die Zeit des Infectionseintrittes, wie sie durch Versuche festgestellt worden ist. Französische und deutsche Autoren (Renault und Boulay, Colin, Niessen) zeigten mit mehr oder weniger übereinstimmung, dass das Aufbringen frischen von animalischen Infectionsherden gewonnenen Infectionsstoffes (Rotz und Schafpocken bei Pferd und Hammel) oder Reinculturmateriales (Milzbrand beim Kaninchen) innerhalb kurzer Zeit zur Allgemeininfection führt und weder tiefgehende Verschorfungen noch Abnahme der inficirten Gliedmaasen nach wechselnden, kurzen Zeitabschnitten im Stande sind, die inficirten Versuchsthiere vor der Allgemeininfection zu schützen und am Leben zu erhalten.

In eindrucksvollster und geradezu classischer Weise stützte Schimmelbusch experimentell die durch solche Versuche mehr und mehr sich Anerkennung verschaffende Vorstellung von der schnellen resorptiven Verbreitung der Infectionserreger bei der Wundinfection. Uns allen sind die Versuche geläufig, in denen er Mäusen am Schwanz eine Verletzung beibrachte, diese mit Milzbrand inficirte und nach verschiedenen Zeiten den Schwanz höher oben amputirte; es zeigte sich, dass bei dem Verstreichen von 10 Minuten eine Erhaltung des Thieres nicht mehr möglich war; alle Thiere gingen an Milzbrand zu Grunde und eine weitere geradezu bestechende Ergänzung erfuhren diese Experimente durch die später mitgetheilten Versuchsreihen, bei welchen er innerhalb kurzer Zeit die Organüberschwemmung mit Keimen nachweisen konnte. Die Versuche wurden von verschiedener Seite, auch im Koch’schen Institut, wiederholt und ihre Ergebnisse bestätigt. Ich selbst führe sie alljährlich in meiner Vorlesung über allgemeine Chirurgie den Studirenden vor.

Was war und musste die Folge dieser Versuchsergebnisse sein? Die Auffassung, dass wir, gegenüber der enorm raschen Resorbirbarkeit der Bacterien von frischen Wunden aus, mit den Mitteln zu einer örtlichen Bekämpfung zumeist zu spät kommen werden und gegenüber der Infection machtlos sind.

Seltsamer Weise erfuhren diese, unserer practischen Erfahrung bei den nicht operativen Verletzungen nicht entsprechenden Versuchsresultate, abgesehen von einer beiläufigen Bemerkung Schimmelbusch’s selbst, nicht die nothwendige Einschränkung; so zwingend schien die Beweiskraft der technisch schön angelegten und in das Schema der Koch’schen Infectionstheorien passenden Versuche zu sein. Im Gegentheil, sie inaugurirten, wie nunmehr zu erwarten war, eine Zeit der Unsicherheit oder des Fatalismus für die Theorie der Behandlung frischer Verletzungen. Erst allmälig ward der Kampf gegen die Verallgemeinerung der Consequenzen dieser Versuche aufgenommen, aber: vielmehr ex juvantibus, als ex nocentibus!

...Sie experimentirten endlich mit Material, das in ganz ungleichmässigen Infectionsbedingungen unter sich (Staphylokokken und Streptokokken bei Kaninchen) und zum parallelen Infectionsmodus des Menschen (insbesondere Streptokokken) sich befindet. Die über Allem stehende brennende Frage

1. «Wie lange Zeit bedarf das infectionsverdächtige in die Wunde gelangte Material bis zur Entwickelung der in demselben enthaltenen Keime und damit bis zum wirklichen Ausbruch der bacteriellen Infection» und

2. «Wie lange bleibt diese Wundinfection ein örtlicher Process?» ermangelt bis zum heutigen Tage einer experimentellen Beantwortung.

... Diese Uebersicht zeigt (Friedrich bezog sich dabei auf die Ergebnisse seiner Tierversuche, bei denen die Tiere mit Staub oder Erde infiziert und die Verletzungsstellen dann 1-2 mm im Gesunden angefrischt wurden), dass bis zur 6. Stunde mit Sicherheit, bis zur 8. Stunde in ungleichmässiger Weise, eine Anfrischung und damit Abtragung des Infectionsherdes die Thiere vor der Infection mit malignem Oedem bewahrt und dieselben gesund, ohne Krankheitszeichen bleiben. Wir haben es hier mit einem biologischen Gesetz von nur annähernd möglicher zeitlicher Grenzbestimmung zu thun, weil, wie bei allem Lebenden, wechselnde, hier nicht zu erörternde Factoren einen zum Theil noch unberechenbaren Einfluss haben können.

Jedenfalls war hiermit die Auskeimungszeit des das Wundgebiet inficirenden Materials (für Staub und Erde im Thierversuch) für die nachfolgende practische Prüfung der Frage annähernd ermittelt.

Vielfältige Beobachtung des Infectionseintritts beim verletzten Menschen zeigt nunmehr, dass hier hinsichtlich der Staphylokokken- und Streptokokken-Infectionen die Verhältnisse der Zeit nach zumeist mindestens ebenso günstig, wenn nicht noch günstiger liegen.

Ich verschone Sie mit einer Statistik behandelter Verletzungen; darf doch wohl eine allgemeine Uebereinstimmung darüber vorausgesetzt werden, dass man ein sicheres Urtheil über eine Verletzung, ohne sie selbst gesehen zu haben, besonders mit Rücksicht auf die vorliegende Frage nur schwer gewinnen kann und alle entsprechenden Statistiken von fraglichem Werthe sein müssen.

Für die chirurgische Praxis darf aber, in Anlehnung an die gegebenen Ausführungen und gestützt auf die Erfahrung am verletzten Menschen, gefolgert werden:

Wenn durchführbar, – nach äusseren Umständen (aseptischer Apparat, Narkose oder örtliche Anästhesie) oder nach Zeit, Art und Umfang der Verletzung, – muss eine bis zur 6. Stunde bei frischen, nicht operativen Verletzungen noch bewerkstelligte Anfrischung jegliche Infectionsgefahr für den Träger beseitigen. Ich brauche nicht vor Fachmännern darauf hinzuweisen, dass die Technik der Anfrischung sich in subtiler Weise zu vollziehen hat, dass jegliche vorherige erneute Finger- oder Sondenläsion im Verletzungsbereich das Werk der Anfrischung fruchtlos machen kann; dass nicht die aus infectionsverdächtigem in gesundes und aus diesem wieder in infectionsverdächtiges Terrain schlagende Scheere zur Anfrischung benutzt werden darf, sondern ausschliesslich das Messer; dass die Pincettenbranche der Schmutzseite nicht aus Versehen wieder zurückgleiten darf in die angefrischte gesunde Fläche und ähnliche Einzelheiten mehr.

Wenn ich am Schlusse meiner Ausführungen die Hauptsätze derselben als das Ergebniss meiner experimentellen und klinischen Erfahrungen nochmals herausheben darf, so sind es die Folgenden:

1. Jegliche durch nicht operative Verletzungen, bez. durch sogenannte Spontaninfection gesetzte Wundinfection ist zunächst ein örtlicher Process. Für seine therapeutische und prognostische Beurtheilung ist es von Wichtigkeit, damit zu rechnen, dass er in der weitaus grössten Zahl der Fälle bis mindestens zur 6. Stunde, oft länger, oder dauerend ein solcher bleibt. Dieser Zeitraum stellt gewissermassen die Auskeimungszeit des Infectionsmaterials (Latenzzeit der Infection, Incubationszeit) dar.

2. Von den in dieser Zeit angreifenden Heilverfahren ist die exakte Anfrischung des Verletzungsgebietes im Gesunden und in ganzer Ausdehnung des Verletzungsgebietes das zuverlässigste Verfahren zur Erzielung einer infectionslosen Heilung.

3. Wo Umstände dieses Verfahren verbieten oder nicht angezeigt erscheinen lassen (Zeit, Umfang der Verletzung, Assistenz, künstliche Anästhesie, aseptischer Apparat) ist eine mehr weniger offenhaltende Behandlung das beste Präservativ gegen schwere Infectionen.

4. Die Anwendung antiseptischer Stoffe hat nur Sinn, wenn das Wundgebiet für das Anbringen derselben hinreichend zugänglich ist, wenn sie in der bezeichneten Auskeimungszeit, oder nach der vom Organismus und nicht von chemischen Substanzen geleisteten Demarcation des Infectionsprozesses erfolgt. Auf progrediente oder Allgemeininfectionen ist sie einflusslos, manchmal nachtheilig. Sie leistet insgesamt kaum mehr, als die von Fall zu Fall geschickt verwerthete Einleitung einer mehr weniger offenhaltenden Behandlung.“

Friedrich hatte damit eine experimentell abgesicherte Basis für die primäre Wundversorgung geschaffen, wie sie heute noch praktiziert wird.

http://www.deboor.org/100_jahre_wundausschneidung.htm

Version : 20.01.2008 - Contents : Andreas W Friedrich